Wolfgang Kergaßner, Inhaber des gleichnamigen Stuttgarter Architekturbüros, gilt als renommierter Vertreter seines Metiers im deutschsprachigen Raum. Als verantwortlicher Projektpartner für den Bau des Firmenhauptsitzes in Pliezhausen schuf er im Auftrag mit DATAGROUP ein Gebäude, das auch nach über 25 Jahren Maßstäbe setzt. Im Interview gibt er Einblicke in das dahinterliegende Konzept und äußert seine Sicht zu grundsätzlichen Themen wie Einfachheit in der Architektur oder die Bedeutung von Corporate Architecture.
Gibt es ein Projekt, auf das Sie ganz besonders stolz sind?
Zu den Gebäuden, die mich besonders berühren, denke ich natürlich spontan an den Firmenhauptsitz als damals neuen Sitz von DATAGROUP, ebenso unser Wohnhaus oder die Linde Agora, das Firmenrestaurant der Linde AG. All diese Bauten haben nicht nur eine hohe Gebrauchstauglichkeit, sondern verfügen auch über eine gewisse emotionale Qualität, die bis heute wirkt.
Erzählen Sie mehr über das DATAGROUP Projekt …
Ich fungierte damals als verantwortlicher Architekt in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Fachgebieten sowie mit Max H.-H. Schaber als Vertreter des Bauherrenteams. Seinerzeit stand die Integration neuer Denkstrukturen auf der Agenda, verbunden mit dem Wunsch von DATAGROUP, die Idee eines »offenen Gedankenmodells« in ein Bauwerk zu übersetzen. Im Ergebnis entstand eine nahbare Architektur für Menschen, in deren zwangloser Atmosphäre Mitarbeiter und Besucher sich treffen und wohl fühlen.
Bis heute ist die Architektur des Hauses menschenfreundlich, anregend und ermutigend, offen und kommunikativ. Und: Sie fördert die Innovationslust von Mitarbeitern und Besuchern.
Sehr gefreut hat mich auch die Auszeichnung des Hauses 1997 mit dem Hugo-Häring-Preis, einem wichtigen baden-württembergischen Architekturpreis.
Wie stehen Sie zum Thema Einfachheit in Design und Architektur? Welche Möglichkeiten gibt es, Einfachheit in der Architektur zum Ausdruck zu bringen?
Lassen Sie mich dazu ausführen, womit Architektur beginnt. Am Anfang jeder Entwurfsüberlegung steht ja zuerst immer das Entwickeln des zugrundeliegenden Gedankengebäudes. Nur so gelingt es, werkstoffoffen und losgelöst von formalen Oberflächen, ganzheitlich geprägte Konzepte zu entwickeln. Gleichzeitig muss man die Gebäude emotional erfahrbar machen. So wird die Welt vielfältiger und interessanter. Das muss sich in der Architektur widerspiegeln. Jedem, der sich mit Architektur auseinandersetzt, muss zudem klar sein, dass Architektur zunächst immer einem Zweck dient. Zuerst steht der Architekt deshalb in der Pflicht, sein Arbeitsprogramm abzuarbeiten. Und dann geht es natürlich los: Man muss sich bei jeder Aufgabe immer wieder neu fragen, wie die Dinge im Idealfall von sich aus aussehen würden, ohne äußere Zwänge. Viele Lösungen entwickeln sich nach dem ganz einfachen Entscheidungsmuster von richtig oder falsch. Und klar: Am Ende steht immer das Einfache.
Wie haben Sie Max H.-H. Schaber als Bauherrn kennengelernt?
Die Zusammenarbeit mit DATAGROUP in Person von Max H.-H. Schaber war von gegenseitiger Akzeptanz und Respekt geprägt. Noch mehr: Es war im klassischen Sinn eine Symbiose.
Förderlich für das Projekt war dabei auch die hohe Entscheidungskompetenz des Bauherrn, seine Stellung als alleiniger Ansprechpartner sowie eine allgemein klar strukturierte, zielorientierte Vorgehensweise.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit konkret beschreiben?
DIN-Normen wurden zum Beispiel kritisch und problemorientiert hinterfragt. Ziel war nicht ein DIN-konformes Haus zu bauen, sondern ein nutzerorientiertes Ganzes zu schaffen. Dazu nutzten wir auch Synergien mit den beteiligten Fachplanungsleistungen und vernetzten alle Aspekte des Bauens.
Unser Ziel war es, Bau- und Unternehmenskultur durch Architektur zu veranschaulichen – unter Einhaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Getreu dem Motto, dass Bauen Verantwortung bedeutet, nicht Selbstdarstellung.
Für die frühen 1990iger Jahre weist das Gebäude einige Besonderheiten auf. Welchen Anspruch haben Sie bei der Planung und Konzeption des Gebäudes verfolgt?
Die flexible Struktur des Objekts gewährleistete von Anfang an ein Höchstmaß an Diversifikation durch die Anordnung, Größe und Gestalt der einzelnen vermietbaren Nutzungseinheiten. Es war ja von Anfang an vorgesehen, Flächen und Etagen jederzeit auch an andere Unternehmen vermieten zu können, was immer wieder auch gemacht wurde. Dadurch reduzierte sich auch das Investitionsrisiko.
Was mich bis heute freut, ist zu sehen, dass das Haus den wechselnden Arbeitsbedingungen und Anforderungen der jeweiligen Generationen immer wieder gerecht geworden ist. Das gilt auch für die Zukunft: Die Digital Natives, die jungen Vertreter der Generationen Y und Z – sie alle erwarten mehr denn je im Beruf räumliche wie zeitliche Flexibilität. Die Organisationsstruktur und die Atmosphäre des Gebäudes erfüllen auch diese Anforderungen.
Schildern Sie uns einige Grundlagen und Details des Gebäudes.
Der Workflow, die Kommunikation und die Schnittstellen zwischen einzelnen Arbeitsgruppen bildeten die Grundlage für die Raumgestaltung. Vertrauliche Kommunikationsbereiche, Rückzugsbereiche für hochkonzentrierte Arbeit sowie Segmente für Besprechungen und Konferenzen wurden von Beginn an konzeptionell ermöglicht.
Allgemein bedient die hohe Flexibilität und Transparenz des Gebäudekonzepts dynamische Formen der Projektarbeit – ganz im Sinne einer atmenden Organisation, die auf spontanes und stetig sich wandelndes Wachstum jederzeit reagieren kann.
Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit des Objekts aus?
Generell beginnt Wirtschaftlichkeit in der Architektur bereits bei der allgemeinen Konstruktion in Verbindung mit dem zur Verfügung stehenden Gelände. Es setzt sich fort mit einem durchdachten, langfristig angelegten Gebäudemanagement.
Mit einer sinnvollen Integration alternativer Systeme wie Erdkanäle oder Betonkernaktivierung sowie dem bewussten Einsatz von Energie steht das Gebäude bis heute für ein konsequent umgesetztes Low-Energy-Concept.
Was liegt Ihnen zum Schluss noch besonders am Herzen?
Am Sichtbarsten drückt sich die Identität eines Unternehmens in seinen Gebäuden aus. Sie sind gewissermaßen ein gebautes Abbild. Corporate Architecture ist damit ein echter Wirkfaktor. Damit sorgfältig umzugehen, verlangt schon die Selbstachtung. Abgesehen davon, erfordert Corporate Architecture – neben einem ästhetischen Bewusstsein – eine Pflicht zum Gemeinsinn und daraus abgeleitet eine Verantwortung für die gebaute Umwelt. So wird Architektur zur Identität.
Herr Kergaßner, vielen Dank für dieses Gespräch!